Agnes Arndt, 77 Jahre

 

Lange im Ausland gelebt. Fünf Kinder großgezogen. Daneben 25 Jahre berufstätig gewesen. Immer Gedichte und Kurzgeschichten geschrieben. Seit schwerer Depression Schreibblockade, die nur gelegentlich aufreißt. Stark sozial engagiert, gerne Sprachrohr für Behinderte. Selbst jetzt im Alter gehbehindert.

 

 

 

Meine Texte:

 

 

Rumpelstilzchen

 

Rumpelstilzchen Humpelbein

möcht so gern wie andre sein

schneller gehen, grade stehn

keine spöttschen Mienen sehn

 

Rumpelstilzchen Humpelbein

braucht man nicht, lässt es allein.

Ach wie schlecht, dass jeder weiß

dass ich Rumpelstilzchen heiß.

 

 

 

Hier bin ich zuhause

 

Immer hinter der Arbeit her, immer wieder umziehen. Erst wegen der verschiedenen Versetzungen meines Vaters, dann als ich mein Elternhaus verließ und mehrmals die Stelle wechselte, schließlich wegen immer wieder eintretender Arbeitslosigkeit meines Ehemannes, der unbedingt arbeiten wollte und jede Stelle annahm. Dreiunddreißig mal bin ich in meinem Leben umgezogen, habe Freunde, Familie, Lehrer, Häuser und Gärten zurücklassen müssen, fühlte mich schließlich heimatlos.

Bis ich nach Bielefeld kam. Ich sage jetzt immer zu meinen hier gefundenen neuen Freundinnen: „Ich bin gestrandet wie ein Wal, liege auf dem Strand und kann nirgends mehr hin“. Lange konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich hier eine neue Heimat finden würde. Und doch ist es so gekommen. Bielefeld ist „meine Stadt“ geworden. Einige meiner Kinder und zwei Enkel leben hier, das Grab meines Mannes ist in Eckardtsheim und meines wartet gleich daneben. In den inzwischen vierzig Jahren, die ich jetzt in Bielefeld bin, habe ich so viel gelernt, habe die Stadt, die von vielen als uninteressant, ja nicht vorhanden angesehen wird, als einen besonders lebenswerten, schönen Ort kennen und lieben gelernt. Viel Auswahl an kulturellen Highlights,  viele interessante Menschen, viel Grün und liebliche Umgebung – was will man mehr? Bielefeld auf eine „Puddingstadt“ zu reduzieren ist ebenso unfair wie zu sagen „da ist ja nichts los“. Mich faszinieren in dieser Stadt vor allem ihre Museen, allen voran das Museum Hülsmann, das mit seinen von Frau Dr. Wiewelhove feinfühlig und mit Geschmack zusammengestellten und präsentierten Exponaten ein ästhetischer Genuss ist. Und dem Historischen Museum bin ich auch besonders verbunden, hat mich doch die  Geschichte des Ravensberger Landes mehr und mehr in ihren Bann gezogen. Dieser Geschichte gehe ich auch in meinem jetzigen Studium an der Universität Bielefeld immer mehr auf den Grund. Diese Universität, die schon früh auch Älteren ohne Abitur das Studieren ermöglichte, ist ein immerwährender Brunnen der Inspiration. Junge Studenten (die meine Enkel sein könnten) aus vielen verschiedenen Ländern kommen hier zusammen und mittendrin wir Alten. Sie akzeptieren uns, sind freundlich und hilfsbereit – das macht es leicht, mit ihnen zusammen von dem Wissen der Professoren zu profitieren. Und mir hat dieses Studium nach einer schweren Krise wieder neuen Lebensmut und Perspektiven gegeben – was kann man sich Besseres wünschen?

Wenn ich  manchmal im Krankenhaus liege und höre den Straßenlärm, dann denke ich oft „es ist meine Stadt, die ich höre“ und dieser Gedanke lässt mich dann ganz ruhig schlafen. Und wenn ich von einer Reise zurückkehre und sehe zum ersten Mal den „Teuto“, dann weiß ich, gleich bin ich in Bielefeld, gleich bin ich zu Hause.

 

 

 

Auf historischem Grund

 

Der neue Spielplatz ist fertig. Der Weg, der durch das „grüne Band“ läuft auch. Es ist schön geworden am Tönsplatz. Vorher war hier ein unübersichtliches Gelände und mancher fragte sich :“Warum heißt es eigentlich Tönsplatz?“

Nur ganz wenigen Bielefeldern scheint bekannt zu sein, dass man sich hier auf historischem Grund befindet. 1475 gründete hier der  Drost und Propst Lambert von Bevessen, ein angesehener, reicher Bürger der Stadt, ein Leprosorium. Für sein Seelenheil sollte die Einrichtung, ein Siechen- oder Krankenhaus für Leprakranke mit zugehöriger Kapelle und angeschlossenem Friedhof gestiftet sein.

In der Urkundensammlung von Vollmer liest man am  5. Juni 1475 (Urk. 959): „Ich, Lambert van Bevessen, Propst zu St. Johannes in Osnabrück und in Schildesche, zur Zeit Amtmann der Herrschaft zu Ravensberg, tue kund und zu wissen, daß ich Gott im Himmel und Maria, seiner würdigen Mutter zuliebe und zu Ehren meiner Eltern und meiner Seele Seligkeit gebe und habe gegeben den Kamp (das Feld)  gelegen zwischen dem Pauenbaume und Hartlage, der Klenekamp geheißen, bei dem Lemgoischen Wege (heute Heeper Straße) für die armen Kranken und die leprösen Leute, wo ein Haus und eine Kapelle gebaut werden sollen.“

Er regelt darin die Finanzierung, die der Bielefelder Kanonikus Herman Cordt übernimmt, sowie die Eigenständigkeit der Pfarre, die dem Kirchspiel Heepen untersteht, aber ihren eigenen Pfarrer hat. Deren Besoldung und Rechte werden ausführlich festgelegt. Die Verstorbenen des Siechenhauses sollen nur auf dem angrenzenden Friedhof begraben werden, die Totenmessen allerdings finden in der Heeper Kirche statt.

Die Kapelle, die noch auf alten Landkarten als „Siechenkapelle“ verzeichnet ist (Wandbild im Stadtarchiv!) wurde den Heiligen Crispinus, Chrispianus,  Antonius, Elisabeth und Gertrudis geweiht. Vom Heiligen Antonius  (der Eremit, war Schutzheiliger der Erkrankten , in seinem Namen gründeten die Antoniter Seuchenhospitale) hatte die Kapelle im Volksmund dann auch ihren Namen. Und im Ostwestfälischen heißt der „Töns“.

Erst Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Kapelle wegen Baufälligkeit abgebrochen, wie P.F. Weddigen ind seiner „Historisch –geographisch-statistische Beschreibung der Grafschaft Ravensberg in Westphalen“  aus dem Jahr 1790 mitteilt.  Was mit Siechenhaus und Friedhof geschah ist unklar. Als die Bauarbeiten für den Spielplatz begannen, wollten  hiesige Archäologen den Standort von Kapelle und Friedhof versuchen zu lokalisieren, bekamen aber keinen Zutritt zum Gelände. Damit ist wohl dank des Fortschritts die Geschichte der auf diesem Platz durchlittenen Schmerzen aber auch Wohltaten endgültig begraben.