Friedrich Bahlo, 66 Jahre

 

Ich bin ja an der See geboren. Ich weiß über die Seefahrt was, aber übers Leben nicht so viel. Ich weiß nicht genau, wie alt ich bin. Flensburg 1, Lüdenscheid 2, Bethel 3, wohnhaft dort bis jetzt. Das sind die Fakten. In der Schule in Flensburg habe ich Krach gekriegt. In Lüdenscheid hat sich der Rektor eingesetzt. Ich hab ja von Vati in der Heimvolkshochschule was mitgekriegt. Der unterrichtete mittelsüdnordamerikanische Schüler und ich – Mutti hat ja in der Bücherei und Bibliothek in Flensburg gearbeitet – musste dorthin, dass falls ich Anfälle bekomme ich nicht allein zuhause umfalle und tot da liege. Ich bin ein Wandervogel. Sonst weiß ich nichts zum Lebenslauf, ich krieg ja nicht die Akten.

 

 

Meine Texte:

 

Bielefeld im Jahrgang

 

Ich bin noch nicht 800 Jahre alt. Uralt. So alt bin ich noch nicht. Ich bin 60, 70, 80 ... zwei Jahre fehlen noch bis acht. Die sollen mal rechnen die Leute! 2, 4, 6, 8 - sind vier Finger. Ich bin älter als 60.

Erstaunte lange Zeit.

 

Warum muss ich denn ernst bleiben?

 

Eigentlich habe ich gute Erfahrungen mit Bielefeldern. Früher bin ich zu Fuß zur Zionskirche. Habe mich mit Pastor Friedrich über das Dasein von mir unterhalten.                                                                            

 

Bielefeld ist besser als Hamborn. Ich war auch in Hamborn. Vier, drei Jahre. In Westfalen irgendwo unten ist Hagen, oben ist Hamborn. Bin von Hamborn bis Hagen gelatscht. Und dann von Hagen bis Frankfurt. Von Frankfurt bis Heide zurück. Und dann war ich bei Mama und mein Bruder hat mich abgeholt.

 

Über den Krieg in Bielefeld hab ich ja noch nichts erlebt. Da war ich noch in Flensburg in der beschützten Werkstätte Adelbylund bei Flensburg. Wegen Epilepsie, meiner Krankheit, bin ich nach Bielefeld gekommen. Da können sie fortgeschrittenere Sachen mit mir machen. Trotzdem ist meine Sehnsucht noch nach Flensburg. Obwohl wir jetzt in Heide/Holstein wohnen. Zwar nur noch meine Mutter, die anderen Mädchen sind ausgeflogen, mein Bruder auch.

Ich weiß ja nicht über das Leben in Bielefeld wie's weiter werden würde. Bis jetzt ist es gut gelaufen, mehr weiß ich nicht.

 

Ich hab die Stadt mal 1976 abgestreift. In die Altstadt, bis Brackwede und wieder zurück. Königsweg und dann wieder bis Ebenezer. Autos hab ich gesehen, Leute, wie immer.

Ach, die jüngere, junge Lebensgestalt von Bahlo, die ich jetzt nicht mehr habe, die würde ich auch gern mal wiedersehen!

Die Altstadt, wie sie jetzt geworden ist von der jungen Gestalt, die möcht' ich wiedersehen. Wie könnte man es machen? Ich weiß ja nicht wie ich da hinkommen könnte mit meinem Stühlchen. Das dritte Jahr bin ich im Stühlchen. Das dritte Jahr ist noch nicht ganz voll. Ich kann ohne Stühlchen ja nicht mehr, das ist es ja. Mit Stühlchen oder ohne Stühlchen.

 

1972 bin ich hergekommen. Seit der Zeit bin ich hier im gleichen Haus. Ich bin länger als in Arimathia hier. In Arimathia war ich nur drei Jahre. Und in Mara I war ich nur vier Jahre. Mit 18 bin ich hierher gekommen. Jetzt bin ich 60, 5 Sekunden und 6 Jahre.

Hundert, hundert, hundert, hundert, hundert, hundert, hundert, hundert - Bielefeld ist acht mal Hundert. Weiß ich. Zehn und sechs sind sechzehn. Da bin ich älter. Die sollen mal rechnen die Leute.

 

Bielefeld bleibt barmherzig bei Barmherzigkeit.

Basta bitte bleiben bloß.

Bahlo bleibt barmherzig.

Bitte beiderseits.

 

Mehr weiß ich wirklich nicht mehr.