Ilse Witzke, 76 Jahre

 

Ich bin vertrieben mit meiner Mutter aus Stettin nach Heuersdorf bei Halle/Bitterfeld in der DDR. Unten war Kohle, die Häuser mussten alle weg, nach Burnau die Bauern. 52 sagte der Bürgermeister zu mir, ich laufe so krumm. Meine Mutter hat wenig Ahnung gehabt, die ist in den Wald, hat Bäume gepflanzt mit anderen. Ich kam nach Halle an der Saale. Da hat man TB festgestellt, an der Lendenwirbelsäule 2, 3 und 4. Dann kam ich auch gleich ins Gipsbett. Da lagen drei junge Frauen, so 14 ungefähr, Gisela und Edith hießen die beiden anderen. Nach vier Wochen kamen wir drei im Krankenwagen nach Dresden Klotsche, da ist eine Heilstätte für TB. Alle im Gipsbett. Wir haben Medikamente bekommen, Streptomycin und Penicillin und mussten brav liegen. Das Gipsbett war so ähnlich wie das, wo man Brot drin backt, eine Schale, die Hälfte vom Kopf draußen. Wir hatten da auch Unterricht. Wir wurde dafür aus dem Bett raufgezogen auf so ne Gondel, da passten wir so gerade drauf, und wurden rausgeschoben auf so ne Terrasse. Wir lagen in Reih und Glied wie in der Schule. Das haben wir nicht jeden Tag gehabt. Das war anstrengend für die Schwestern Tanja, Helga und Frieda. Na ja, .... wir kriegten gutes Essen. Wir mussten im Liegen essen, zum Essen stellten wir den Teller so auf die Schulter, den Löffel nahmen wir und dann aßen wir eben so. Einmal war meine Mutter da, die hat mich da besucht, von Heuersdorf nach Klotsche, das ist allerhand weit. 1952 kam ich hin, 1955 lag ich immer noch. Dann konnte man ein Korsett anpassen. Dann durfte ich jeden Tag ein bisschen sitzen. Es ging immer so weiter und nach einem halben Jahr kamen wir Kranken nach Johannstadt, Neustadt Dresden. Dann hab ich Frau Lotte Hempel kennengelernt, sie war von der Inneren Mission. Zusammen sind wir in Johannstadt ein bisschen spazieren gegangen. Ich bekam bei der Entlassung von der Inneren Mission ein Nachthemd und einen Lodenmantel. Ich habe in Klotsche Decken mit Muster gestrickt, die wurden verkauft, dadurch konnte ich mir was zum Anziehen kaufen. Ein dreiviertel Jahr lang hab ich Laufen gelernt. Später 1955 kam ich im Krankenwagen von Bitterfeld nach Hause. Aber meine Mutter hat mich nicht reingelassen. Die war auch arm dran. Dann kam ich nach Halberstedt, in so was wie ne Reha, zwei Jahre. Dort habe ich Nähen gelernt. Später habe ich bei Agfa in der Filmfabrik gearbeitet, Hilfsarbeit gemacht. Da gab's auch Mittagessen.

 

 

Meine Texte:

 

Wonnemonat Mai

 

Und dann hab ich mich umgemeldet nach Bielefeld, hier waren meine Tante Erika und meine Halbschwester. Man musste der Polizei den Grund schreiben. Ich habe geschrieben, dass ich so lange in der Heilstätte war und meine Schwester nicht besuchen konnte. Das wurde genehmigt und am gleichen Abend bin ich losgefahren, hab mich in den Zug reingesetzt. Im Mai 1961 war das. Um 4.01 Uhr war ich hier. Ich fand Bielefeld ein bisschen sehr stur. Ich hab noch sächsisch gesprochen. Nach drei Tagen hörte ich von Gundlach Druck & Papier in der Ravensberger Straße. Hab ich mich gemeldet und hab dort schön gearbeitet am Band in der Lederabteilung. Neun Stunden täglich gearbeitet von Mai bis Dezember.

Ich hab schöne Reisen gemacht, Teneriffa, Lago Maggiore, da war ich ja ledig und ich hatte da noch keine Stöcke. Acht Tage bin ich mit Neckermann nach Russland, Petersburg, Eremitage, alles gesehen. War ich auch in Jerusalem, auch von Neckermann, aber mit dem Flugzeug. Mit dem Bus bis zum Roten Meer hoch, wo König Hussein auf der anderen Seite lebte.

Bis 1979 war ich bei Gundlach, dann konnte ich nicht mehr, da fing das mit der Arthrose an. Jetzt bekomme ich Erwerbslosenrente, etwas über 600 Euro. Ich wohne bei der Firma Allgemeine Wohngesellschaft, da lebe ich mit Ausländern und Polen .. na ja.

Hier am Bielefelder Tisch gibt es Brot. Ich habe nämlich Allergien. Das Bot, das es hier gibt, kann ich vertragen. Für 1 Euro gibt es das. Ja, und so lebe ich. Ich komme auch hin mit dem Geld, nehme keine Zuschüsse, kein Wohngeld. Mein Haar lass ich nur schneiden und meine Beerdigung hab ich schon bezahlt.