Meik Arning, 41 Jahre

 

 

1972                           meine geburt

                                   der tag an dem alles begann

 

 

 

 

Meine Texte:

 

ich war schon verloren

 

ich war schon verloren

bevor ich das berühmte licht der weit erblickte

du

wolltest nur deinen spaß für dich

gab es kein morgen mit mir

ein versehen

einfach nur nicht aufgepasst

verdammt

gehst du mit geschlossenen augen über die strasse?

ich war nun da

winzig und zart

wo war deine warme hand

auf meiner haut?

warum klang niemals die stimme deines trostes

In meinen kleinen ohren?

Ich war schon verloren

warum hast du mein so junges herz zum schlagen gebracht?

vater

nun bist du nicht mehr da

egal wo du jetzt bist

 

ich sage es dir mit einem lächeln

 

wie schmerzvoll mein leben bisher auch war

das was du mir nie nehmen konntest war

die liebe und die hoffnung

 

 

Der Schrei

 

Ich wachte auf, der Schmerz nahm mir meinen Schlaf. Trotz mehrmaligem Seitenwechsel schlief ich nicht ein. Ich stand auf und tapste leise auf Zehenspitzen zum Fenster. Kleine und dicke Regentropfen prasselten gleichmäßig und in einem beruhigendem Rhythmus an die Fensterscheibe. Mit dem Zeigefinger folgte ich den Weg einiger Tropfen, die sich langsam über die Scheibe bewegten. Die Nase an der Scheibe platt gedrückt und den Tränen ganz nahe.

 

Warum tat er das immer? Warum tat er mir immer so weh? Ich wusste es nicht. Ich hatte ihm doch gar nichts getan.

 

Wie jeden Abend lag ich in meinem Bett und wartete auf meinen Vater, der irgendwo in einer Kneipe saß und Unmengen von Bier trank.

 

Meine Tür war wie immer geschlossen und durch das Schlüsselloch drang Licht hindurch. Meine beiden jüngeren Brüder schliefen fest, als ich aufstand und mich zur Tür schlich. Ich legte mich auf den Teppichboden und hielt mein Ohr an die Kinderzimmertür. Aus dem Wohnzimmer drang die Stimme eines Mannes, wahrscheinlich der Nachrichtensprecher der Tagesschau. Es war eine ruhige und angenehme Stimme. Ich lauschte ihr einige Minuten aber verstand nicht den Sinn der Worte. In der Küche sprudelte und keuchte unsere alte Kaffeemaschine. Sie war sehr laut. Jetzt roch ich auch den Kaffee.

 

Ich weiß nicht mehr, wie lange ich da lag, doch reflexartig stand ich auf und legte mich schnell wieder ins Bett, denn mein Vater stand vor der Haustür. Ich hörte wie er den Schlüssel ins Schloss steckte und die Tür aufschloss. Zügig zog ich mir die Bettdecke über den Kopf und hielt den Atem an. Mein ganzer Körper zitterte vor Aufregung. Wird er kommen oder ist er hoffentlich so betrunken, dass er gleich ins Bett geht? Ich wünschte es mir so sehr. Mit einem Auge schaute ich unter der Bettdecke hervor und lauschte. Es war nichts zu hören. So langsam beruhigte ich mich wieder.

 

Versuchte wieder zu schlafen, was mir auch gelang.

 

Irgendwann in der Nacht wachte ich wieder auf. Mein Vater stand an der Tür und rief leise meinen Namen. Ich sollte aufstehen und ihm ins Wohnzimmer folgen. Was ich auch ohne Widerworte tat. Meine Angst war wieder da. Ich stand auf und folgte ihm. Meine Mutter stand in der Küche und spülte das Geschirr. Ich suchte ihre Blicke, doch sie nahm mich nicht wahr. Vater saß auf dem alten Sofa und rauchte eine Filterzigarette. Auf dem Tisch standen drei Flaschen Bier, zwei davon waren bereits leer. Neben den Flaschen lag eine Bildzeitung von heute morgen. Der Fernseher lief. Vater forderte mich auf, neben ihm Platz zu nehmen.

 

Ich tat es und zitterte am ganzen Körper. Ich versuchte seinen Blicken auszuweichen.

 

Nun zog er seinen Gürtel aus und legte ihn neben sich. Ich wusste was jetzt kam.

 

Ich sollte meine Hose ausziehen und mich über die Sofalehne beugen. Das tat ich auch. Es hätte keinen Sinn gehabt, sich dagegen zu wehren. Es hätte alles nur schlimmer gemacht. Er nahm den Gürtel und schlug zu. Immer wieder auf meinen Po. Diesmal hatte ich großes Glück. Es war nur das Leder, heute nahm er nicht die Gürtelschnalle. Ich weinte nicht, das hatte ich schon lange nicht mehr getan. Mit meinen sechs Jahren hatte ich schon zu viele Tränen vergossen.

 

Irgendwann kam meine Mutter ins Wohnzimmer und redete auf meinen Vater ein, er gab ihr eine Ohrfeige und machte dann auch Schluss mit mir.

 

Er forderte mich auf, jetzt ins Bett zu gehen. Ich war richtig froh darüber und der Schmerz war wie weggeblasen.

 

Ich legte mich ins Bett und schlief ein. Ja, so lange bis ich wieder erwachte. Es regnete immer noch. Die Bäume waren kaum zu sehen und doch erkannte ich dass die Baumwipfeln im Wind miteinander tanzten.

 

Im Zimmer hörte ich das zaghafte Schnarchen meines Bruders.

 

Seine zweite Welt. Der Traum hatte ihn gefangen genommen und verführte ihn auf eine Reise zu seinen Wünschen, Ängste und zu sich selbst. Seine Gesichtszüge waren entspannt und lieb. Ein heller Blitz zuckte durch die Nacht und nur für einen Moment siegte das Blitzlicht über die Dunkelheit.

Donner hallte durch die Luft und die Fensterscheibe vibrierte ein wenig.

 

Der Schrei — er blieb ungehört.