Gisela Schütze, 83 Jahre

 

Ich bin 83 Jahre. Zwei Heimaufenthalte habe ich hinter mir. Die sind bedingt durch zwei schwere Stürze, so dass ich meine Wohnung selbst nicht mehr versorgen konnte und mich auch nicht. Jetzt sitze ich im Rollstuhl. Mein Hobby war Tanzen. Ich habe einen Sohn, eine Schwiegertochter und ein Enkelkind, mit denen ich jeden Tag telefoniere. Dann habe ich eine liebe Schwester, die alles für mich erledigt: Post, Sparkasse, packt Päckchen für mich und vieles andere. Ich kann mich immer auf sie verlassen. Um 8 Uhr früh geht das Telefon und wenn ich mit ihr gesprochen habe, fühle ich mich einfach wieder wohl. Ich war Großhandelskauffrau und habe meinen Beruf sehr gerne ausgeübt. Wir waren eine tolle Gemeinschaft. Leider wurde diese durch den Ausbruch meiner Krankheit - der Kriegstraumatisierung - allzu früh beendet.

 

 

Meine Texte:

 

Erfahrungen von 1942 bis 1949

 

Im Sommer 42 war der erste Luftangriff auf unsere Stadt. Betroffen war vor allem der Osten unserer Stadt. Und an der Hammermühle lagen Blindgänger, die von deutschen Soldaten bewacht wurden. Meiner lieben Mutter taten diese jungen Leute unendlich leid. Sie füllte große Thermoskannen voller köstlichen Saftes und schickte mich zu den Soldaten, die diese Erfrischung dankbar annahmen. Aus dieser Begegnung hat sich eine lange Brieffreundschaft entwickelt. Und dann kamen die Soldaten wieder an die Front. Durch diese Bombardierung wurde die Kinderlandverschickung forciert. Meine Mutter wollte nicht, dass ich mit in die Kinderlandverschickung kam. Also fuhren wir  zu Verwandten nach Sachsen.

 

Als der Krieg dann zu Ende war, musste ich 1945 wieder in die Schule. Aber da die Luisenschule total zerstört worden war, mussten wir Mädchen in die Falkschule, die eine Jungenschule war. Da gemeinsamer Unterricht verpönt war, hatten wir eine Woche morgens Unterricht und die andere Woche des nachmittags. Der zerstörte Kückenstall, ein Anbau er Luisenschule, wurde als erstes wieder aufgebaut, so dass wir dann unsere alte Schule wieder besuchen konnten. 1947 wurden wir entlassen. Und ich begann meine Lehrzeit bei der Freien Presse, die der Verleger Emil groß leitete. Da es damals schon schwierig war, eine Lehrstelle zu bekommen, half mir eine Freundin meiner Mutter, dass ich meine Lehre antreten konnte. Ja, und dann bin ich bei der Freien Presse geblieben. (Die haben 1967 fusioniert mit der Westfälischen Zeitung zu unserer heutigen Zeitung NW).

 

Mit den Arbeitskollegen haben wir Aufbauarbeit geleistet, indem wir einen Feuerlöschteich vollkommen wieder entsorgt haben. Wir hatten 'nen Hammer mit, haben die Steine geklopft. Die guten, die für den Wiederaufbau gebraucht wurden, wurden gesondert an die Seite gelegt. Die, die zerbröselt waren, wurden anderweitig entsorgt. Das Schöne an dieser Beschäftigung war, dass Lehrlinge, die normalen Angestellten, Abteilungsleiter, dass alle mit tätig waren. Niemand hat sich gedrückt und jeder war dabei. Das war 'ne wunderbare Sache, ich weiß es noch. Wir haben so viel Spaß gehabt! Schon allein das Gefühl: Der Krieg ist zu Ende. das gab uns so viel Sicherheit und Lebensfreude. Dass der Krieg endlich zu Ende war und wir aufbauen konnten.

Als dann 1948 die Währung ausgerufen worden war, geriet man in einen Kaufrausch. Denn sämtliche Schaufenster waren in Hülle und Fülle mit schönsten Sachen dekoriert worden. Egal ob es zeug oder etwas zu essen war.

Und vielleicht würden sich die jungen Menschen heute wundern. Mein Monatsgehalt betrug im 1. Lehrjahr dreißig Deutsche Mark, im 2. vierzig und im 3. fünfzig. Und mein erster Monatslohn betrug 160 Reichsmark.

 

Eine Tanzstunde habe ich auch besucht in der Zeit. Die Tanzschule Thielemann-Richter. Herr Thielemann war ein Grand Senior der alten Schule. Und wenn er Tango tanzte, waren wir jungen Mädchen hin und weg. Ja, das war schön! Den Abschlussball durfte ich in einem geliehenen Kleid einer Freundin meiner Mutter besuchen. Und ich war so ziemlich die Schickste. Das war so ein Kleid mit einem tollen Kragen und ... so ein Ding, was über den Schoß ging. das sah ganz raffiniert aus. Mit meinem Tanzstundenherren hat mich noch eine lange Freundschaft verbunden. Leider ist er vor einigen Jahren verstorben.

Nachdem ich dann meine Tanzstunde beendet hatte, gingen wir Mädchen, meine Freundin Ulla und ich, regelmäßig in dieses wundeschöne Restaurant "Schöne Aussicht", gelegen unterhalb der Promenade. Dort wurde getanzt. Wenn man dann von einem Herrn aufgefordert wurde, das war ein Gefühl, das kann ich gar nicht beschreiben. Tango... ob wohl jemand kommt und uns auffordert? Und dann kam einer und man konnte zusammen tanzen. Das war berauschend. Oh, und in der "Berglust". Aber die bot einem nicht das, was die Schöne Aussicht bot. das war unterhalb der Sparrenburg. Es ist dann abgerissen worden das Gebäude. Wann kann ich nicht sagen, so Anfang der 50er Jahre. Denn als ich meinen Mann kennengelernt habe, 1951, sind wir immer nur in die schöne Aussicht gegangen. Er hat unwahrscheinlich gerne getanzt. Wenn wir Wiener Walzer tanzen konnten - das war so richtig Top!

 

Das möchte ich den jungen Menschen sehr ans Herz legen. Wissen Sie, wenn Sie einen Panzer vor Augen haben und das Panzerklirren der Ketten hören, wird es Ihnen ganz unheimlich. Und noch unheimlicher ist es, wenn sich vor Ihnen das Rohr hin und her bewegt. Ich möchte den Bielfeldern raten: Haltet gute Nachbarschaft! Dass uns allen Menschen auch in Zukunft der Frieden erhalten bleibt. Das wäre mein Wunsch für die nachfolgende Generation. Und schließlich habe auch ich ein Enkelkind, dem ich auch Frieden wünsche für sein ganzes weiteres Leben.

 

 

Über das Älterwerden

 

Hüpfen, ja das würde ich gerne noch.

Hüpfen - das war einmal.

Alt werden möchte jeder, aber alt sein nicht. Jedenfalls ich nicht so gerne. Ich bin ja nun geprüft von den Heimaufenthalten. Vor drei Jahren bin ich ins Krankenhaus gekommen. Ja, und nach dem Tode meines Mannes bin ich zum ersten mal umgezogen. Von der Kleinen Howe in die Wilbrandstraße. Das war noch eine eigene Wohnung. Da hab ich eine sehr nette Nachbarin gehabt, die mir das Rummycupspielen beigebracht hat. Und da ich schon von Jugend an eine "Spielerin" bin, macht es mir auch heute immer noch Freude, wenn ich Besuch habe zum Rummycupspielen.

Am alt werden ist nicht schön, dass man liebe Freunde immer erst vor sich gehen lassen muss. das ist keine berauschende Erfahrung.

Ja, eine schöne Sache ist, wenn man im Alter junge Menschen um sich hat. Das find ich einfach toll. Und dann muss ich eigentlich diesem zweiten Altenheim, in denen ich gelebt habe, dankbar sein, dass es sich mit der Gertrud-Bäumler-Schule ins Benehmen gesetzt hat und dass ich nun junge Menschen kennengelernt habe. Das ist schön.

Ich habe dann auch sofort nach dem Tod meins Mannes versucht, in einem Kindergarten tätig zu werden, als ehrenamtliche Großmutter. Und dann hatte ich noch das große Glück, dass ich in der Rußheideschule mit den Kindern spielen kann, jeden Donnerstag Nachmittag um drei Uhr. Und aufgrund dessen eine Einladung bekommen habe von der Stadt Bielefeld als Ehrenamtliche geehrt zu werden, voriges Jahr im November 2013.

Nur zwischen Alten - das wäre furchtbar! Um Himmelswillen!

Dass wir alle nicht mehr topp sind, das wissen wir ja nun. Aber Krankheiten als Tagesthema, das hab ich nicht so gern.

Dann hab ich noch das große Glück, dass meine Freundin übermorgen hier einziehen kann. Darüber freue ich mich ganz besonders.

Dann hoffe ich sehr, dass ich mit meiner Freundin für das 800jährige Bielefeld noch in die Freie Presse kann, weil wir da beide bei Emil Groß gearbeitet haben und uns in der Buchhaltung kennengelernt haben. Darauf freue ich mich nun sehr.

Das wär's dann wohl, nicht?

Da ist sonst nichts mehr, was das Älterwerden angenehm macht. Denn die Macken werden größer, die man hat.

Wenn man sich von so vielen Sachen trennen muss, das ist nicht berauschend am Alter.

Schön ist, dass ich hier im Stift so wunderbar umsorgt werde. Und keine Verantwortung mehr tragen muss. Das hat sehr viel Entlastendes finde ich. Dass man hier auch Menschen hat, mit denen man auch seelische Probleme bewältigen kann.

 


Die Macken von Bielefeld

 

Was mir überhaupt nicht behagt hat, das war dieser Pizza-Hut, den man auf den Jahnplatz gebaut hat.

Dass man die schöne Bielefelder Spinnerei erhalten hat finde ich gut. Das wäre eine ganz große Schande für Bielefeld gewesen, wenn man die abgerissen hätte. Wenn dort jetzt im Frühjahr die Szilla blühen, die Wiese ganz blau ist, dann finde ich das entzückend.

Und der Alte Markt ist wirklich auch ein Vorzeigeort.

Ärgern tu ich mich noch über das Rathaus. Da sind Flure, die man hätte vermeiden können. Ich war ja nun da. Ich hab mich schwarz geärgert! Bis ich mit meinem Rollstuhl nun da war, wo ich hin sollte ... diese Riesenflure, das ist ja nun ärgerlich.

Der Kesselbrink wird ja so hoch gelobt. Das ist mein all nun überhaupt nicht. Wenn ich an früher denke, vor dem krieg, wie der Kesselbrink mal war ... Da wird einem wehmütig. Kies war dort.